Fischertag

Gleichstellung beim Stadtbachfischen

Christiane Renz und Rechtsanwältin Dr. Bräcklein (Mitglieder der EqualityFighters e.V.) haben es gemeinsam und mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) geschafft, das Frauenverbot beim jährlichen Abfischen im bayrischen Memmingen zu kippen und den Fischertagsverein längst überfällig ins 21. Jahrhundert geholt.

Die Story

Das Fischertagsfest war vor 1900 eine lose Veranstaltung. Der Brauch des Stadtbachfischens soll bis ins Mittelalter zurückreichen. Das Reinigen des Stadtbachs war eine ziemlich schmutzige Angelegenheit. Vor der Reinigung wurden die Fische abgefangen. Hierzu entwickelte sich ein vergnügliches Fest, das auch Schaulustige aus der Umgebung anzog. 

Ab 1902 gab der Stadtmagistrat die Organisation in die Hände eines eigens dafür gegründeten Vereins – dem Fischertagsverein. Die im vormaligen städtische Festkommittee Mitwirkenden wurden zugleich Vorstand des neuen Vereins. 

Das Fest wird bis heute in Memmingen gepflegt. Es dauert zwei Tage und beinhaltet eine Vielzahl von Veranstaltungselementen, wie einen Umzug mit historischen Kostümen. Zentral ist das morgendliche Abfischen des Stadtbachs. Mehr als 1500 sog. Stadtbachfischer springen in den Bach und versuchen mit einem Kescher (Bären) eine oder mehrere Forelle zu fangen. Wer den schwersten Fisch fängt, wird Fischerkönig und beim Umzug und in der Stadthalle gefeiert.

Der juristische Streit um das Frauenverbot geht auf eine Satzungsänderung im Jahr 1931 zurück. Seinerzeit fügte man eine Vorschrift ein, wonach nur männliche Vereinsmitglieder beim jährlichen Abfischen des Stadtbachs mitmachen dürften. Frauen haben bei dem Fest die Rolle der „Kübelweiber“; sie nehmen den Fang entgegen und halten ihn in einem Wasserbehälter frisch. Fischerköniginnen sind nicht erlaubt, auch wenn es 1981 beim Kinderfest immerhin einen Denkanstoß gab. 

Frau Renz, Vereinsmitglied seit über 30 Jahren, störte das Frauenverbot schon seit ihrer Kindheit. Für sie war es nicht nachvollziehbar, warum ihr Bruder oder ihr Neffe mitmachen durften und sie nicht. Schließlich versuchte sie es mit einem Antrag auf Satzungsänderung, das Wort „männlich“ zu streichen. Vergeblich. Die überwiegend männliche Vereinsmehrheit war dagegen. Ihr Anliegen wurde sogar in öffentlichen Verlautbaruneen des Vereins als Respektlosigkeit gegenüber dem Verein und seinen Mitgliedern verurteilt.

Im Februar 2019 kam der Spielfilm „Petrunya“ in den Wettbewerb des Berlinale Filmfestivals. Die Protagonistin teilte ein ähnliches Schicksal wie das der Memmingerin, nur eben in Mazedonien. Dort war es ein Holzkreuz, welches nur Männer fangen dürften. Hier in Memmingen ging es um einen Fisch. Der Berliner Tagesspiegel nahm die Geschichte auf „In Memmingen wird gestritten, ob Frauen Fische fangen können.

Frau Renz holte eine Stellungnahme der Antidiskriminierungsbehörde des Bundes ein, die ihr Anliegen befürwortete und legte sie der Mitgliederversammlung vor. Das beeindruckte die Vereinsmitglieder nicht. Man war weiter der Ansicht, dass Frauen die männliche Tradition des Abfischens stören würden. Das sah auch die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Memmingen, Frau Fuchs, so. Ihr Bürgermeister Schilder hatte ja bereits seine Amtszeit mit der Botschaft eingeleitet: Solange er Bürgermeister sei, „juckt koi Frau in Stadtbach nei.“

Schließlich blieb der Frau keine andere Möglichkeit mehr, als mit Unterstützung ihrer Rechtsanwältin Dr. Bräcklein Klage beim Amtsgericht gegen das Frauenverbot beim Abfischen zu erheben. 

Fischers Fritzi

Caroline Kuban hatte sich im Juli für den Deutschlandfunk unter die Memminger*innen gemischt und die emotionalen Schwingungen und Verwerfungen eingefangen, welche das Thema in der bayrischen Stadt turbulieren ließen „Fischers Fritzi will auch mitfischen“. Der Spiegel sprach von letzten Bastionen. Die  englische Presse titelte: „German trout hunt becomes sex equality fight“.

Zur Unterstützung des Anliegens und der Klägerin bildete sich die Gruppe „Fischer’s Fritzi” – für Gleichberechtigung am Memminger Fischertag. 

Am 19. Juli 2020 veranstaltete die Gruppe im Rahmen einer Kunstperformance den ersten Fischer*innentagEs wurden an alle Zutaten bedacht: Fischerhüte, Fischer*innenspruch, Schmotzlied. Statt Forellen, gab’s ein Plüschtier. Die Aktion rief sogar eine Gruppe Polizisten und aufgeregte Stadtbachfischer, die sog. Bachaufsicht, auf den Plan. Die Frauen sollten ihre Gesänge einstellen. Die Polizei klärte die Öffentlichkeit mit einer Pressemitteilung auf. Ungeachtet der Furcht vor den singenden Frauen wurde noch die ersten Fischerköniginnen gekürt, die ihre ersten Ansprachen ans Fischervolk hielten.

Mündliche Verhandlung Amtsgericht

Am 3. August 2020 trafen die Streitparteien erstmals vor Gericht aufeinander. Die junge Richterin fragte in die Runde, was denn eigentlich genau das Problem sei. Weder der Vereinsvorsitzende Ruppert noch der Anwalt des Vereins hatten hier wirklich etwas Substantielles zu antworten. Die Satzung sehe das so vor, die Vereinsmehrheit habe so entschieden und so sei es schon immer gewesen. Wenn es schon immer so gewesen sei, fragte die Richterin, dann hätte man es ja nicht in die Satzung reinschreiben müssen, oder?

Sieg 1. Instanz: „Der Verfassungsstaat ist kein Museum“

Am 31. August 2020 verkündete schließlich das Amtsgericht seine Entscheidung und verurteilte den Verein, die Klägerin in die Gruppe der Stadtbachfischer aufzunehmen nehmen, um am Ausfischen teilnehmen zu können. Festgestellt wurde eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung nach § 823 BGB und die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nach § 18 AGG. Der Verein habe eine soziale Vormachtstellung, der Fischertag sei einzigartig und das Ausfischen zentrales und namensgebendes Element der Fischertagsveranstaltungen. Der Ausschluss von Frauen sei willkürlich und auch nicht durch eine behauptete Tradition gerechtfertigen. Die traditionellen Elemente bei den Fischertagsveranstaltungen seien ohnehin immer wieder geändert worden.

AG Memmingen, Endurteil vom 31.8.2020 – 21 C 952/19

Hilfe! Immer noch dagegen

Der Verein wollte das Ergebnis immer noch nicht akzeptieren und ging in Berufung. Für die Prozesskosten bat er öffentlich um Spenden verbunden mit dem Angebot Spendenquittungen ausstellen. Die Fritzis entwarfen hierfür einen Rosettomaten: „Zeigen Sie der ganzen Welt, was für eine rückständige Forelle Sie sind.“ Nunmehr war auch eine riesige Anzahl Fischerköniginnen an Board, um das Anliegen der Klägerin mit Scherpe und Fischerhut auf Social Media zu unterstützen. In der Schweiz, in Österreich, Frankreich … überall fanden sich Unterstützer „Forelle pour elle“.

Mündliche Verhandlung Landgericht: „Gender Apartheid“

Für die mündliche Verhandlung am 23. Juni 2021 buchte die Kammer des Landgerichts einen größeren Raum in der Stadthalle, um dem Interesse der Medienöffentlichkeit gerecht werden zu können. Der Vorsitzender der Kammer war zugleich der Präsident des Landgerichts. Angesichts der recht einfachen Fragestellung, kam das Gericht auf etwas seltsame Ideen, den Streit zu schlichten: Man könnte einen Friedensrichter einsetzen oder den Frauen einen eigenen Bachabschnitt zuteilen. So was wie „Gender Apartheid“, meinte Anwältin Bräcklein kritisch zurück.

TAZ, Sexismus beim Fischerfest vom 23.6.21

 

Sieg 2. Instanz: Keine Vorrechte für Männer

Im Sitzungssaal des Landgerichts bestätigte die Kammer unter dem Dach des bayrischen Staatswappens, dass das Frauenverbot beim Abfischen nicht (mehr) zulässig sei und das Vereinsrecht nicht generell Vorrechte von Männern toleriere. Die Begründung des Landgerichts ist auf unterster Flamme gekocht: Das Gericht sah nur den vereinsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, weil in allen anderen Vereinsgruppen Frauen zugelassen seien. Die Anwendung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (§ 18 AGG) wischte es mit der Begründung weg, dass die Klägerin durch den Ausschluss vom Abfischen keinen wirtschaftlichen Nachteil erleide. Allerdings ist das nach § 18 AGG gar nicht als Voraussetzung. Die Revision wurde zugelassen. Worin genau die grundsätzliche Bedeutung liegen soll, dazu hatte das Gericht nichts gesagt, wohl wegen der vermeintlich „unversöhnlichen verfassungsrechtlichen Konkurrenz von Vereinsautonomie und Gleichberechtigung“, wie die Süddeutsche Zeitung in „Verein darf Frauen bei Brauchtums-Fischen nicht ausschließen“ meint. Der englische Guardian berichtete: Fishermen’s day’ must let women compete

Ende gut. Alles gut?

Die erste weibliche Mitwirkende wurde am 23. Juli 2022 als Sensation gefeiert. Von den Gegner:innen der Öffnung wurde sie weiter missbilligt. Frau Renz hatte Glück und zwei Fische gefangen und ihr Küblesbua nahm sie entgegen. Es gab wieder einen alternativen Fischerinnenspruch und die Unterstützung der feministischen Aktionsgruppe Memmingen.

In Memmingen taugt das Thema immer noch für emotionale Verwerfungen und wird bei Familienfeiern lieber ausgelassen. Der Fischertagsverein hat die Finger von der Revision gelassen. Ob es zukünftig mehr Frauen in den Bach ziehen wird? Wahrscheinlich nicht so viele. Der Verein setzt fünf Jahre Mitgliedschaft voraus, bevor man mitfischen darf. Ist das zulässig?

Liest man die bis heute gültigen Beschlüsse des Stadtmagistrats von 1902 genau, folgt hieraus, dass das Ausfischen als Bürgerrecht und gerade nicht  als schlichtes Recht von Vereinsmitgliedern ausgestaltet worden ist. Das Abfischen ist eine öffentliche Angelegenheit, der Verein ein schlichter Verwaltungshelfer. Die Stadt Memmingen selbst hat für einen diskriminierungsfreien Zugang ihrer Bürgerinnen und Bürger zum Abfischen sorgen. An diesem Grundsatz müsste jede Zugangsbeschränkung, welche der Verein aufstellt, von der Stadt Memmingen auf ihre Rechtfertigung hin überprüft werden. 

Die Stadt Memmingen selbst hat in diesem Fall nichts unternommen, nichts, was der Fischerin das Klageverfahren und der selbst ernannten Stadt der Freiheitsrechte die öffentliche Berichterstattung erspart hätte. Der Bürgermeister von Memmingen, der sich noch 2019 in derb geschlechtsdiskriminierender Weise geäußert hatte und auch noch 2021 öffentlich erklärte, dass es am besten wäre, wenn alles zu bliebe wie es sei, meinte nun im Juli 2022: „Es ist gut, dass jetzt auch von Memmingen das Signal der Nichtdiskriminierung ausgeht.“ 

Tatsächlich steht der Fischertags-Streit für ein kommunalpolitisches Versagen. Das Fischereirecht in Bayern ist eine öffentliche Angelegenheit, der Stadtbach ein öffentliches Gewässer und für die Festaktivitäten werden öffentliche Einrichtungen und öffentliches Straßenland genutzt. Auf die Idee, dem Fischertag wegen der Diskriminierung von Frauen beim Abfischen die Gemeinnützigkeit abzuerkennen oder damit zu drohen oder mit anderen Mitteln auf diskriminierungsfreie Zustände hinzuwirken, kam hier niemand. Lag das vielleicht auch an den personalen Verknüpfungen zwischen Stadtrat und Vereinsvorstand und der männlichen Vorherrschaft?

Präzedenzwirkung: Später Sieg für die Gleichberechtigung

Ob das Fischertags-Urteil dazu beiträgt, diskriminierende Strukturen im Vereinswesen aufzuweichen, bleibt abzuwarten. Es gibt in Deutschland noch viele Vereine, die Frauen ganz oder in Teilbereichen von der Mitwirkung ausschließen, wie Schützenvereine oder Trommlergruppen. Sie berufen sich auf Brauchtum, um Frauen von bestimmten Aktivitäten auszuschließen. Gerade in ländlichen Gegenden sind solche Vereine ein wichtiger Rahmen für gesellschaftliches Engagement und Netzwerke. Insoweit sind Ausschlusspraktiken mit großer Skepsis zu betrachten. Meist sollen sie nur Privilegien aus der Vergangenheit festigen, welche in normative Strukturen wie Satzungen festgeschrieben wurden. Dies hat der Fischertagsfall exemplarisch gezeigt.

Für die Klägerin war die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 17. Mai 2017 (Az. VR 52/15) rechtlich inspirierend und letztlich aktionsbegründend. Das Gericht hatte bestätigt, dass einer traditionellen Freimaurerloge das Gemeinnützigkeitsprivileg aberkannt werden darf, weil Frauen willkürlich von zentralen Vereinsaktivitäten ausgeschlossen würden. Ein Verein, der entgegen Art. 3 Abs. 3 GG die wesensmäßige Gleichheit aller Menschen in Abrede stellt, sei mangels Förderung der Allgemeinheit nicht als gemeinnützig einzustufen.

Was ist aus der Initiative des damaligen Finanzministers und heutigen Bundeskanzlers geworden? 2019 hatte Scholz anlässlich der geplanten Reform des Gemeinnützigkeitsrechts gemeint:  Vereine, die grundsätzlich keine Frauen aufnehmen, sind aus meiner Sicht nicht gemeinnützig. Wer Frauen ausschließt, sollte keine Steuervorteile haben und Spendenquittungen ausstellen.“ Es folgte ein (Männer-) Chor der Entrüstung, obwohl bereits die Stadt Hamburg mit dem Verlangen nach Öffnung der geschlechtergetrennten Ruderclubs vorangegangen war. Das sinnvolle Anliegen wurde zerredet und damit großes Potential für mehr Gleichberechtigung in der Gesellschaft und bei der Ressourcenverteilung verschenkt.

Mut und Ausdauer der Klägerin und ihrer Anwältin sind beispielhaft. Dennoch ist es unzumutbar, den Weg zur Gleichstellung, zu Entgeltgleichheit oder Chancengleichheit auf die benachteiligten Individuen oder strukturell schwächere Gruppen abzuwälzen, indem man ihnen aufbürdet, lange Gerichtsverfahren auf ihre Kosten zu führen. Die Durchsetzung der Gleichberechtigung hat gesamtgesamtgesellschaftliche Bedeutung. Der Fischertagsfall zeigt, dass die materiellen und immateriellen Kosten der Rechtsverfolgung benachteiligte Gruppen beim Zugang zum Recht zusätzlich benachteiligen (Wenckebach, Der Weg zu Equal Pay ist viel zu steinig: VerfBlog, 2022/7/20.

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